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26.04.2018, 19:17 Uhr
Doppelverbeitragung bei der GKV fragwürdig.
Anhörung im Gesundheitsausschuß des Bundestages am 25.4.2018
 Doppelverbeitragung bei der GKV fragwürdig.
Arbeits- und Sozialexperten sehen in doppelten Beitragszahlungen zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge eine korrekturbedürftige Fehlsteuerung. Zum wiederholten Mal befasste sich am Mittwoch der Gesundheitsausschuss des Bundestages in einer öffentlichen Expertenanhörung mit dem Thema. Zur Debatte stand ein Antrag der Fraktion Die Linke mit der Forderung, die doppelte Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Betriebsrenten zu beenden.

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Einige Sachverständige machten, auch in ihren schriftlichen Stellungnahmen, grundsätzlich deutlich, dass Initiativen für eine ergänzende Altersvorsorge neben der gesetzlichen Rentenversicherung nicht durch zusätzliche Beiträge konterkariert werden sollten. Anlass für den Streit sind die Auswirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes von 2003, das 2004 in Kraft getreten ist. Seit 2004 müssen Versicherte auch auf Versorgungsbezüge, die aus Einmalzahlungen, etwa aus einer Direktversicherung als Kapitallebensversicherung, resultieren, Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zahlen. Da die Zahlungen in der Ansparphase schon der Beitragspflicht unterlagen, ist von einer "Doppelverbeitragung" die Rede. Zudem führte die gesetzliche Änderung dazu, dass Versicherte seither den vollen GKV-Beitragssatz zu zahlen haben statt bis dahin den hälftigen. In der Folge fallen die Auszahlungen deutlich niedriger aus, als von den Versicherten ursprünglich erwartet. Betroffene beklagen, dass die Gesetzesänderung sogar für Altfälle gilt, also die Vertragsbedingungen rückwirkend zu ihren Ungunsten verändert wurden. In höchstrichterlichen Entscheidungen wurden die geltenden Regelungen jedoch bestätigt.

Das Bundesverfassungsgericht stellte 2010 fest, es gebe im Beitragsrecht der GKV kein Verbot, Einnahmen doppelt mit Beiträgen zu belasten. Dies hänge mit den Besonderheiten der Finanzierung des Krankenversicherungssystems zusammen und unterscheide sich von den Grundsätzen des Steuerrechts.

Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) von 2017 sind seit 2018 staatlich geförderte Betriebsrenten (Riester-Betriebsrenten) in der Auszahlungsphase beitragsfrei gestellt. Damit wurde die Doppelverbeitragung beendet.

Der Verein der Direktversicherungsgeschädigten sprach rückblickend von einer "Farce". Noch in den 1980er Jahren hätten Politiker die Bürger dazu aufgefordert, selbst etwas für die Altersvorsorge zu tun und damit geworben, dass dies ohne Sozialabgaben und mit Steuervorteilen möglich sei. 2003 habe der Bundestag dann "die Regeln mitten im Spiel geändert", ohne Bestandsschutz oder eine Übergangsregelung. Betroffen seien rund sieben Millionen Menschen. Ein Sprecher des Vereins sagte in der Anhörung, die meisten Betroffenen wüssten noch gar nicht, was auf sie zukomme. Der Verein bekomme jeden Tag Anrufe von Leuten, die sich "abgezockt" fühlten. Das trage zur Politikverdrossenheit bei. Er betonte: "Wir wollen keine Lippenbekenntnisse mehr hören, sondern Taten sehen."

Die Sachverständige Barbara Sternberger-Frey forderte die Abgeordneten auf, verbraucherfreundliche Regelungen zu beschließen und Ungleichbehandlungen abzuschaffen. Sie monierte, im Sozialversicherungsrecht gebe es "unzählige Stolperfallen". Auch andere Experten wiesen auf die Vielzahl unterschiedlicher Fallkonstellationen hin. Die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) warb dafür, Betriebsrenten nicht in der Finanzierungs- und Leistungsphase mit Beiträgen zu belasten und wertete dies als "außerordentlich wirkungsvollen Fehlanreiz". Die mehrfache Verbeitragung habe es aber schon vor der Gesetzesänderung 2004 gegeben, etwa bei sogenannten echten Eigenbeiträgen, bei der privaten Fortführung von Pensionskassenzusagen oder bei Überschreitung der Versicherungsfreigrenze von vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze. Im Normalfall würden heute in der Finanzierungsphase keine Beiträge geleistet, in der Praxis träten aber abweichende Konstellationen auf. Dies sei "atypisch", jedoch keinesfalls die Ausnahme.

Nach Ansicht des GKV-Spitzenverbandes ist die beklagte Doppelverbeitragung bereits weitgehend ausgeschlossen. Es seien zwar noch Einzelfälle denkbar, die meisten Bezieher von Versorgungsbezügen würden aber nur einmal mit GKV-Beiträgen belastet, in der Einzahlungs- oder Auszahlungsphase. Der Verband erklärte, eine Änderung der Bestimmungen zugunsten der Bezieher von Versorgungsbezügen würde zulasten der übrigen Beitragszahler gehen. Die Beitragsleistung der Rentner aus Versorgungsbezügen liege pro Jahr bei rund sechs Milliarden Euro. Die Tarifpartner sind sich einig, dass die Doppelverbeitragung soweit möglich ausgeschlossen werden sollte.

Der DGB erklärte, die Doppelverbeitragung sei "weder wirtschaftlich noch sozialpolitisch zu rechtfertigen". Vor allem die Geringverdiener hätten dadurch von den Sicherungssystemen der betrieblichen Altersvorsorge nur einen geringen Nutzen. Der Arbeitgeberverband BDA fügte hinzu, Doppelverbeitragungen müssten vermieden werden, "weil sie der Attraktivität und damit der notwendigen Verbreitung der zusätzlichen Altersvorsorge schaden". Eine Rückabwicklung sei gleichwohl kaum möglich, weil sich oft nicht mehr rekonstruieren lasse, in welchen Fällen und in welchem Umfang die ausgezahlten Betriebsrenten aus beitragspflichtigen Einzahlungen finanziert worden seien. Mehrere Sachverständige plädierten dafür, zumindest die vor 2004 geltende hälftige Verbeitragung wieder einzuführen, um die Attraktivität der betrieblichen Altersvorsorge zu stärken. Die Beitragsausfälle in der GKV könnten aus Steuermitteln ausgeglichen werden.


aktualisiert 26.04.2018, 19:20 Uhr