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02.07.2021, 12:21 Uhr
Mehrgenerationenwohnen als Beitrag zur Verringerung von Einsamkeit und sozialer Isolation im Land Berlin
DRS 18/2763
Schriftliche Anfrage
der Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner (CDU)
vom 17. Mai 2021 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Mai 2021)

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:
Frage 1:
Wie steht der Senat zur Frage des Mehrgenerationenwohnens als Beitrag gegen Vereinsamung und sozialer Isolation in einer Großstadt?

Antwort zu 1:
Vor dem Hintergrund der wachsenden Stadt Berlin, dem demografischen Wandel verbunden mit einem starken Wachstum des Bevölkerungsanteils der älteren Generationen und einem Wandel der Lebenstile, wird der Wunsch nach selbstbestimmtem, geselligem Wohnen und alternativen Wohnkonzepten immer präsenter. Hierbei ist ein zunehmendes Interesse nach gemeinschaftlichen, sozial-integrativen Wohnformen zu verzeichnen. Generationengerechtigkeit, Inklusion und die Übernahme von Verantwortung und Selbstorganisation sind dabei tragende Leitbilder und Motoren für
das Generationenwohnen.Der Senat vertritt dabei die Ansicht, dass das Mehrgenerationenwohnen hierbei einen wichtigen Beitrag gegen Vereinsamung und soziale Isolation leisten und zu mehr Teilhabe
innerhalb der Nachbarschaften führen kann. Im Stadtbild von Berlin sind bereits an vielen Stellen derartige Projekte vorhanden, einige davon sind auf der Internetseite der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen – „Wohnen im Alter – Gemeinschaftliches Wohnen – Beispielprojekte“ – dokumentiert.Der Senat hat bereits seit 2008 strategisch auf die Fragestellung reagiert und die Netzwerkagentur GenerationenWohnen eingerichtet. Diese Agentur wird alle 2 Jahre neu ausgeschrieben, evaluiert und in den aktuellen Themensetzungen nachjustiert.
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Der Senat unterstützt außerdem anhand der Wohnungsneubauförderung u.a. die Umsetzung derartiger Projekte. Mit den Wohnungsbauförderungsbestimmungen 2019 wird das Ziel verfolgt, die sozialen Nachbarschaften in Wohnquartieren zu stärken, das
Wohnungsangebot nachhaltig zu erhöhen und dabei insbesondere preiswerten Wohnraum für einkommensschwache Wohnungssuchende bereitzustellen.Die Bauvorhaben sollen dabei eine oder mehrere Zielsetzungen verfolgen, indem sie u.a.das generationenübergreifende, altersgerechte und barrierefreie Wohnen fördern, den
Anforderungen von Rollstuhlfahrer*innen und Menschen mit Behinderungen gerecht werden oder die Idee des genossenschaftlichen Wohnens unterstützen.

Frage 2:
Inwieweit hat der Senat die gesellschaftspolitische Idee des Mehrgenerationenwohnens den öffentlichen und
privaten Bauherren mit welchem Erfolg nahegebracht?

Antwort zu 2:

Die Netzwerkagentur GenerationenWohnen wurde im Jahr 2008 als Beratungsstelle für gemeinschaftliches und generationenübergreifendes Wohnen durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen etabliert. Hier können Einzelpersonen und Gruppen kostenlos Beratung und Begleitung beim Aufbau von gemeinschaftlichen Wohnprojekten
erhalten. Die Netzwerkagentur wirkt in diesem Sinne als Beraterin, als Unterstützerin beim Aufbau von Projekten und als Vermittlerin zwischen Wohnungswirtschaft und Wohngruppen. Einzelpersonen und Gruppen, die die Beratung und Unterstützung der Netzwerkagentur wünschen, wollen durch den Aufbau von gemeinschaftlichen und/oder generationsübergreifenden Wohnprojekten soziale Nachbarschaften schaffen.
Mit einem längeren zeitlichen Vorlauf werden Projekte entwickelt, die im Haus und im Quartier gegen Einsamkeit, Vereinsamung, Isolation und für mehr Gemeinsamkeit und gegenseitige Unterstützung aufgebaut werden. Die Netzwerkagentur hat unterschiedliche Plattformen und Strukturen hierfür aufgebaut, um diese Prozesse zu unterstützen.
In Freitagscafes und durch Exkursionen werden Interessierte über best practice Projekteinformiert und durch Fachleute werden Organisationsformen, planungs- und baurechtliche sowie wirtschaftliche Voraussetzungen näher gebracht.Es wurden – bereits vor 10 Jahren - Wohntische (vor Corona 12 aktive Gruppen) in verschiedenen Berliner Bezirken initiiert, die als Plattformen für Interessierte dienen, um Ideen zu gemeinsamen Projekten weiterentwickeln zu können. Diese Gruppen nehmen mit Unterstützung durch die Netzwerkagentur auch Kontakt zu Genossenschaften und
städtischen Wohnungsbaugesellschaften auf.In der Beratung und der Arbeit mit Interessierten wird im Wesentlichen zwischen zwei
Gruppen unterschieden:
· Baugruppen, die im Eigentum gemeinsam Wohnprojekte realisieren wollen,
· Wohnprojektgruppen, die das gemeinschaftliche Wohnen zur Miete realisieren wollen.
In der Vermittlung zwischen Wohngruppen und Wohnungswirtschaft, ist die
Netzwerkagentur auf die Kooperation der Wohnungsbauunternehmen, wie z.B. der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften (WBGs) angewiesen. Die WBGs haben gemäß ihrer Satzung den Auftrag durch das Land Berlin erhalten, breite Schichten der Bevölkerung mit preisgünstigem Wohnraum zu versorgen und Hilfestellung zu einer nachhaltigen und bedarfsgerechten Wohnraumversorgung zu geben. 3
Über diesen übergreifenden Versorgungsauftrag hinaus haben die WBGs
zielgruppenspezifische Vereinbarungen und Verpflichtungen übernommen.
Die Vermietung von Wohnraum an Gruppen bei den WBGs konnte in den letzten Jahren in einigen Projekten umgesetzt werden (s. auch Antwort zu 3). Dabei sind gut funktionierende Projekte entstanden, wie z.B. das Projekt ALWIG bei der STADT UND LAND (SuL), das Wohnprojekt in der Mendelstraße bei der GESOBAU oder die Cluster-
Wohnungen in der Briesestraße durch die STADT UND LAND.
Baugruppen, die selbst als Bauherr*innen auftreten und gemeinschaftliche Wohnformen aufbauen wollen, benötigen Grundstücke. Hierbei spielt die Grundstücksvergabe im Konzeptverfahren, die in den letzten Jahren praktiziert wurde, eine große Rolle. Sie ermöglicht es so z.B. auch jungen Genossenschaften auf Grundstücken gemeinschaftliche
Wohnprojekte umzusetzen.
-----------------------------> WEITER
Frage 3:
Wie viele Wohngebäude im Land Berlin wurden in diesem Zusammenhang in den letzten 10 Jahren als
Projekte des Mehrgenerationenwohnens entwickelt und gebaut?

Antwort zu 3:

Die Netzwerkagentur hat von 2009 bis 2020 insgesamt ca. 180 Projekte mit etwa 5.000 geschaffenen Wohneinheiten beraten. Da es keine reine Statistik für das Themenfeld Generationenwohnen gibt, können aufgrund der zivilgesellschaftlichen Organisation die Zahlen nach oben hin abweichen.
Bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zeigt sich folgendes:
Bei der degewo wurden in den letzten Jahren fünf Bauprojekte als Projekte des Mehrgenerationenwohnens fertiggestellt. Die nachfolgenden Projekte sind dabei zu benennen:
· F.-Erler-Allee 192, 194/ A.-Straub-Weg 2A, 2B: rollstuhlgerechte
Wohngemeinschaften
· F.-Erler-Allee 162, 164, 166/ K.-Dorsch-Ring 23: Wohngruppe für Menschen mit Behinderung
· Usedomer Str. 25, 26, 27, Wattstr. 21: Vermietung mehrerer Wohnungen an
Wohnprojektgruppe (60+), weiteres Wohnungsangebot für Familien, Paare, Singles · Rudower Str. 47, 49, 51: 1 von 3 Häusern für ältere Bewohner*innen (Träger),
weiteres Wohnungsangebot für Kleinfamilien, Paare, Singles
· Ludwig-Renn-Straße 56 – 64: 1 von 5 Häusern für ältere Bewohner*innen, weiteres Wohnungsangebot für Studenten, Paare, Familien.
Derzeit befinden sich vier weitere Bauprojekte des Mehrgenerationenwohnens im Bau.
Im Rahmen des Mehrgenerationenwohnens ist bei der SuL in 2019/2020 das
Neubauprojekt Urban Living in der Briesestraße/ Kienitzerstraße in Berlin Neukölln mit 280 Wohnungen fertiggestellt worden. Aktuell befindet sich bei der SuL das Bauprojekt des Mehrgenerationenwohnens auf den Buckower Feldern mit rund 1.000 Wohneinheiten in der Planung.
Auch die GESOBAU investiert seit vielen Jahren in die Förderung bestehender Nachbarschaften. Um Einsamkeit und sozialer Isolation vorzubeugen, bedarf es vielfältiger Instrumente und Ansätze, die ein gutes Miteinander ermöglichen und fördern. Seit 2018 ist 4
die GESOBAU bezüglich des Mehrgenerationenwohnens mit der Netzwerkagentur Stattbau GmbH im Austausch und konnte 2018 ein Projekt in einem Neubau in Pankow verwirklichen. In den letzten Jahren konnten außerdem vier weitere Bauprojekte im Rahmen des  Mehrgenerationenwohnens fertiggestellt werden. In den kommenden Jahren
werden drei weitere Bauprojekte realisiert. Die nachfolgenden Projekte sind dabei zu nennen:
· Mendelstraße – eigenorganisiertes Gemeinschaftswohnen (fertiggestellt):
- Gründung eines Vereins zum gemeinschaftlichen Wohnen durch die
Bewohner. Es wurden 9 zusammenhängende Wohnungen (ein
Hausaufgang) vermietet. Hiervon werden 8 Wohnungen durch die einzelnen
Mieter*innen bewohnt, eine Wohnung dient als Gemeinschaftswohnung für
gemeinsame Aktivitäten und Treffpunkt der Bewohner*innen
· Neumagener Straße – Seniorenwohnform (fertiggestellt):
- Träger organisiert Aktivitäten, Gemeinschaftsbereich vorhanden
· Tangermünder Straße – Seniorenwohnform (fertiggestellt):
- Träger organisiert Aktivitäten, Gemeinschaftsbereich vorhanden, Einbindung
der anderen Mieter*innen der Wohnanlage
· Lion-Feuchtwanger-Straße – Seniorenwohnform (fertiggestellt):
- Träger organisiert Aktivitäten, Gemeinschaftsbereich vorhanden, Kooperation mit im Haus befindlicher Kita
· Stadtgut Hellersdorf – Seniorenwohnform (Fertigstellung 2022)
- Träger organisiert Aktivitäten, Gemeinschaftsbereich vorhanden
· Mühlenstraße 24 a/b – Urban Living (Fertigstellung 2022):
- Schwerpunkt liegt beim Sharing-Gedanken, temporären Arbeitsplätzen,
Gemeinschaftsraum, gemeinschaftliche Fahrradwerkstatt,
gemeinschaftliches Urban Gardening
· Idunastraße (Projekt in Planung) – Seniorenwohnform (Fertigstellung 2024):
- Träger organisiert Aktivitäten, Gemeinschaftsbereich vorhanden, Einbindung
aller Mieter*innen der Wohnanlage, Kooperation mit Kita angedacht
Das Wohn!Aktiv Konzept der Gewobag richtet sich an ältere Menschen und zeichnet sich durch besondere Barrierearmut und organisierte Gemeinschaftsaktivitäten zur Verringerung von Einsamkeit und sozialer Isolation aus. In der Zobelitzstraße unterhält die Gewobag einige Seniorenhäuser, die ebenfalls Gemeinschaftsräume beherbergen. Durch
einen Seniorenservice werden in einigen Objekten Beratungen angeboten und Aktivitäten initiiert und unterstützt.
Auch die HOWOGE unterstützt bei der Entwicklung für ein Konzept eines
Vergabeverfahrens für gemeinschaftliches Wohnen zur Miete.

Frage 4:
Wie beurteilt der Senat diese Bilanz und wie steht hierbei das Land Berlin im Vergleich zu anderen
Bundesländern da?

Frage 5:

Was könnte modellhaft durch den Senat von jenen Bundesländern übernommen werden, die in der Frage des
Mehrgenerationenwohnens dem Land Berlin voraus sind?

5
Antwort zu 4 und 5:
Der Senat setzt – wie bereits dargestellt – vielfältige Konzepte hinsichtlich des
gemeinschaftlichen Wohnens um (Beratungsstrukturen, Kooperationsvereinbarung mit den WBGs, Neubauförderung, Förderung von Gemeinschaftswohnungen für soziale Träger, Konzeptvergabeverfahren, etc.) und plant diese auch weiterhin erfolgreich fortzuführen.
Mit der Beratungsstruktur existiert eine mit anderen Bundesländern vergleichbare, gut funktionierende Struktur (bspw.: Hamburg – Agentur für Baugemeinschaften, München –Mitbauzentrale, NRW – Wohnbundberatung). Für Konzeptverfahren und besondere Grundstücksverfügbarmachung sind in den letzten Jahren außerdem Verfahren durch die Berliner Immobilienmanagement GmbH auf den Weg gebracht worden, welche verstetigt werden sollen.

Frage 6:
Welche europäischen Länder könnten nach Meinung des Senats dem Lande Berlin in der Frage des
Mehrgenerationenwohnens aus welchen Gründen als Vorbild dienen?

Antwort zu 6
:
In Österreich und der Schweiz ist der Genossenschaftsbau besonders ausgeprägt. Hier sind in den letzten Jahren verschiedene experimentelle Wohnformen entstanden, wie z.B. die Cluster-Wohnung. Eine Wohntypologie, die mittlerweile auch in Berlin umgesetzt wird.

Frage 7:
Was hat das Land Berlin hinsichtlich des Mehrgenerationenwohnens für die nächsten 5 Jahre geplant?

Antwort zu 7:

In den nächsten fünf Jahren werden in Berlin viele neue Stadtquartiere entstehen. Einige davon, wie die Schöneberger Linse, sind bereits beinahe vollendet und beinhalten Genossenschaftsprojekte – möglich gemacht durch Konzeptverfahren -, die ein hohes Maß an gemeinschaftlichen und generationsübergreifenden Anspruch haben. Die Netzwerkagentur ist aktuell in Kontakt mit der Tegel Projekt GmbH, die die Vergabe von
Grundstücken an Baugruppen und Genossenschaften in Tegel/Kurt-Schumacher-Quartier plant.
In der Beratung der Netzwerkagentur ist wahrzunehmen, dass das gemeinschaftliche Wohnen zur Miete von immer größerer Bedeutung wird, da es zusehends weniger bebaubare Grundstücke im Stadtzentrum gibt und insbesondere ältere Menschen nicht die finanziellen Mittel haben, um in (Gemeinschafts-)Eigentum zu investieren. In der Ausweitung der Zusammenarbeit mit den WBGs steckt demnach ein großes Potenzial für
das gemeinschaftliche und generationenübergreifende Wohnen.

Frage 8:
Ist der Senat bereit, das Mehrgenerationenwohnen in ein Gesamtkonzept gegen Einsamkeit und sozialer
Isolation aufzunehmen? Wenn nein, warum nicht?
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Antwort zu 8:

Sollte ein solches Gesamtkonzept gegen Einsamkeit und soziale Isolation erarbeitet werden, wird es für durchaus als sinnvoll erachtet, das Thema Mehrgenerationenwohnen als eines der Handlungsfelder in das Konzept aufzunehmen.
Berlin, den 1.6.21
In Vertretung
Christoph
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Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung und Wohne
aktualisiert 02.07.2021, 12:46 Uhr