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26.06.2016, 10:58 Uhr | "Souverän" - Ausgabe 02/2016 Senioren Union
Senioren am Steuer
Senioren am Steuer: Wie groß ist das Risiko wirklich?

Nach Unfällen mit Beteiligung älterer Menschen entflammt immer wieder die Diskussion um Altersbegrenzungen fürs Autofahren oder regelmäßige Eignungs- oder Fitnesstests.

Ein überflüssiger Disput?

Für das Jahr 2030 wird prognostiziert, dass 35 % aller Führerscheinbesitzer Senioren/ innen 65+ sind. Sie werden also maßgeblich die zukünftige Verkehrssicherheit beeinflussen. Die Auto-Mobilität der Senioren/ innen trägt dazu bei, ihre „Beweglichkeit“ und damit ihre Lebensqualität zu erhalten und die mit hohen Kosten verbundene Hilfebedürftigkeit möglichst lange zu vermeiden. Befähigen statt Aussondern muss deshalb höchste Priorität haben.

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Titelbild aus Artikel Seniorenunion- Senioren am Steuer

Will man das Unfallrisiko verschiedener Altersgruppen vergleichen, sind einheitliche Bezugsgrößen nötig, wie die jährliche Fahrleistung in Kilometern, die Bevölkerungszahl oder die Anzahl der Führerscheinbesitzer. Fahrleistungen sind weniger geeignet, weil die Pkw-Nutzung mit zunehmendem Alter stark abnimmt. Ihre Verwendung würde dazu führen, dass ein Senior mit 1000 km pro Jahr und einem Unfall ein höheres Risiko darstellt als ein Autofahrer mit 20.000 km pro Jahr und zehn Unfällen. Auch der Anteil an der Bevölkerung eignet sich nicht als Bezugsgröße, weil die Zahl der Führerscheinbesitzer – mit dem Alter abnehmend – ungleich verteilt ist. Das beste verfügbare Maß für die aktive Verkehrsteilnahme ist derzeit der Führerscheinbesitz, wenngleich auch hier vorausgesetzt wird, dass der Anteil der Führerscheinbesitzer, die diesen auch nutzen, in allen Altersgruppen gleich ist (Rompe 2012, 2014).

Bild 1 (s. S. 14) zeigt die Zahl der Verursacher von Unfällen mit Verunglückten je Mio. Führerscheinbesitzer für die verschiedenen Altersgruppen. Daraus geht klar hervor, dass die Senioren/innen mit Führerschein jährlich weniger Unfälle verursachen als Personen jeder anderen Altersgruppe. Die Differenz zur Altersgruppe 25-65 Jahre beträgt mehr als 30 %. Diese Differenz verkleinert sich auch dann nur wenig, wenn man berücksichtigt, dass zwischen 10% und 20% der Führerscheinbesitzer im Alter von mindestens 75 Jahren diesen nicht mehr nutzen (Rudinger 2015).

Wesentlicher Grund für dieses positive Abschneiden der Senioren/innen sind einerseits die mit zunehmendem Alter abnehmenden jährlichen Fahrleistungen. Andererseits meiden sie risikoreiche Verkehrsbedingungen wie Zeiten mit hohem Verkehrsaufkommen oder ungünstige Witterungsbedingungen.

Gelegentlich wird dargestellt, dass bei Senioren/innen mit zunehmendem Alter die Zahl der Unfälle bezogen auf die jährlich gefahrenen Kilometer deutlich ansteigen würde. Holte (2012) konnte jedoch für Deutschland zeigen, dass die Rate der verunglückten Kraftfahrer je zurückgelegtem Kilometer ab 75 Jahren nur einen sehr geringen Anstieg aufweist. Ein deutlicher Anstieg der Unfallrate ergibt sich nur dann, wenn die Getöteten–im Wesentlichen die Senioren/innen selbst – betrachtet werden. Vergleichbare Verhältnisse sind auch für Großbritannien (Mitchell 2013) und die Schweiz (Ewert 2013) publiziert. Für den objektiven Vergleich des Unfallrisikos verschiedener Altersgruppen ist die Häufigkeit der Beteiligung an schweren Unfällen mit Getöteten je km ungeeignet, da das Risiko, bei einer bestimmten Kollisionsschwere selbst getötet zu werden, mit zunehmendem Alter der Senioren/innen, wegen ihrer höheren Verletzlichkeit bis zum Faktor 8 gegenüber Jüngeren ansteigt, wie Bild 2 für die Pkw-Fahrer deutlich macht.

Weiterhin wird häufig die Vermutung geäußert, dass die älteren Auto Fahrenden eine besondere Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellen. Für die Kollisionspartner der Pkw fahrenden Senioren/innen ist das jedoch nicht der Fall, wie Bild 2 ebenfalls deutlich macht. Betrachtet man die Getöteten je Unfall mit Personenschaden über dem Alter des verursachenden Pkw-Fahrers, so sinkt dieser Wert – und damit das Risiko der Kollisionspartner – von den jüngeren zu den älteren Fahrern etwa auf die Hälfte, was auf eine geringere Kollisionsgeschwindigkeit der Älteren hinweist. Dieses mit zunehmendem Alter des Pkw-Fahrers abnehmende Risiko für die Kollisionspartner gilt gleichermaßen für Männer und Frauen. Allerdings ist die Schwere der von Frauen verursachten Unfälle seit vielen Jahren grundsätzlich nur etwa halb so groß wie die der Männer. Frauen fahren offensichtlich bis ins hohe Alter vorsichtiger und vorausschauender als Männer (Rompe 2015).

Wenn die älteren Auto Fahrenden in der öffentlichen Wahrnehmung dennoch häufig als besondere Risikogruppe benannt werden, liegt dies einerseits daran, dass natürlich mit zunehmendem Alter Leistungseinbußen auftreten können. Andererseits wird als Bestätigung angesehen, dass die Rate der Hauptverschuldung bei einer Unfallbeteiligung mit zunehmendem Alter der Auto Fahrenden die hohen Werte der Fahranfänger wieder erreicht. Der Anteil, mit dem Senioren/innen bei

Beteiligung an Pkw-Unfällen mit Personenschaden als Hauptbeschuldigte erkannt werden, steigt im Alter von mindestens 75 Jahren auf Werte von etwa 75% (StBA 2015). Warum dieser Wert bei den Älteren seit vielen Jahren praktisch konstant ist, obwohl sich der Gesundheitszustand und die jährliche Fahrübung dieser Altersgruppe stetig verbessern, ist nicht eindeutig geklärt. Geringe jährliche Fahrübung kann eine wesentliche Ursache für Defizite beim sicheren Fahren sein (Langford et. al. 2006). Weiterhin beeinflusst auch das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer und damit das Verkehrsumfeld die Rate der Hauptbeschuldigung Älterer. Allerdings ist der Prozentsatz, mit dem Senioren bei einer Unfallbeteiligung die Hauptschuld tragen, kein Maß für die Anzahl von Unfällen, die von Senioren verursacht werden. Wie oben gesagt, verursachen Auto fahrende Senioren tatsächlich jährlich weniger Unfälle als Personen jeder anderen Altersgruppe.

Dennoch ist es wichtig, die Auswirkungen des demografischen Wandels genau zu beobachten. In der Gesamtbevölkerung ist die Zahl der Getöteten im Straßenverkehr im Jahrzehnt von 2006 – 2015 um 32 % gesunken. Bei der Altersgruppe 65+ sank sie nur um 11 % (StBA 2015). 30 % der Verkehrstoten waren 2015 Senioren/innen bei einem Bevölkerungsanteil von 21 %. Eine Ursache für diese Unterschiede sind der wachsende Bevölkerungsanteil und der zusätzlich wachsende Führerschein-Anteil insbesondere der Seniorinnen. Eine andere Ursache ist wiederum das wesentlich höhere Risiko der Älteren, im Vergleich mit Jüngeren bei einer bestimmten Kollisionsschwere getötet zu werden, bedingt durch ihre höhere Verletzlichkeit. So waren nur 12% aller Verunglückten Senioren/innen. Diese Trends werden sich, trotz des geringeren Unfallrisikos des einzelnen älteren Auto Fahrenden, verlangsamt fortsetzen. Allerdings sind nur etwa 40 % der im Straßenverkehr getöteten Senioren/innen Autoinsassen, 50 % sind dagegen Fußgänger oder Radfahrer – etwa die Hälfte aller getöteten Fußgänger und Radfahrer sind Senioren/ innen. Welche Möglichkeiten haben wir, um auf diese Entwicklung zu reagieren? Einen wesentlichen Beitrag zur sicheren Auto-Mobilität im Alter können die Älteren selbst erbringen, in dem sie sich geistig und körperlich fit halten, mit dem Autofahren nicht aus der Übung kommen und, wenn möglich, einen Beifahrer mitnehmen. Beifahrer können nachweislich das Unfallrisiko senken, besonders im Innerortsbereich.

Notwendig ist es außerdem, die älteren Auto Fahrenden auf ihre Verantwortung hinzuweisen und darauf, dass sie sich über mögliche Defizite, ihre Auswirkungen und über Kompensationsmöglichkeiten gut und wiederholt informieren. Entsprechende Beratungsangebote bieten Hausärzte, Verkehrspsychologen, Verkehrssicherheitsorganisationen und Automobilclubs.

Auch die technische Ausstattung der Pkws mit geeigneten Fahrerassistenzsystemen wie automatischer Notbremse und Spurhalte und Spurwechselassistenz, wie sie heute für nahezu alle Pkw-Modelle angeboten werden, trägt wirksam dazu bei, Unfälle zu vermeiden (Landesverkehrswacht NRW 2015). Ein folgenschwerer Unfall, wie die ungebremste Fahrt eines Seniors in eine Menschengruppe am 7. Mai 2016 in Bad Säckingen, wäre mit einem entsprechenden Notbremssystem wahrscheinlich nicht passiert. Immer wieder wird dann darauf hingewiesen, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten der EU alt Pflichtprüfungen einsetzt, um ältere Fahrer mit Defiziten vom Verkehr fernzuhalten. In den letzten Jahren sind verschiedene Studien zum Vergleich der Länder mit und ohne solche Prüfungen in Auftrag gegeben worden, sowohl von der EU (CONSOL-Studie 2013), von verschiedenen Mitgliedstaaten der EU als auch vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) (Fastenmeier 2014). Diese Studien kommen zu dem Ergebnis, dass eine Verbesserung der Verkehrssicherheit durch altersabhängige Pflichtprüfungen wie Sehtest, medizinische Untersuchung, kognitive Untersuchung, Wissenstest oder formaler Prüf- und Erneuerungszyklus nicht vorhanden ist. Es wurden eher negative Effekte festgestellt. So führt der durch Testangst bestimmte freiwillige Verzicht oder der vorzeitige Entzug der Fahrerlaubnis zu einer vermehrten, gefährlicheren Verkehrsteilnahme zu Fuß oder mit dem Rad und damit insgesamt zu einer Verschlechterung der Verkehrssicherheit. Altersabhängige Pflichtprüfungen mit derzeit bekannten Methoden sind deshalb ungeeignet zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Entsprechende Forderungen ignorieren den aktuellen Wissensstand. Vielversprechende Untersuchungen an der TU Dortmund zeigen dagegen, dass Beeinträchtigungen der Fahrkompetenz im Alter durch gezieltes Fahrtraining im realen Verkehr reduziert werden können. Die detaillierten Untersuchungen von Poschadel et. al. (2012) machen dazu deutlich: „Auch wenn die Fahrkompetenz im Alter zwangsläufig nachlässt, ist es möglich, durch geeignetes Training (im realen Verkehr) die Fahrkompetenz über 70-jähriger Fahrer wieder zu erhöhen – und das bis auf einen Stand, der mit dem jüngerer Autofahrer (Durchschnittsalter 44 Jahre) vergleichbar ist.“ In zwei allgemeineren Untersuchungen in den USA und Kanada wird dieser Nutzen eines fahrpraktischen Trainings bestätigt. Es ist an der Zeit, diese Erkenntnisse mit einer größeren Zahl älterer Auto Fahrender abzusichern, um unter wissenschaftlicher Begleitung den bisher in kleinem Maßstab ermittelten Gewinn für die Verkehrssicherheit insgesamt und für die Senioren/innen nachzuweisen. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass ein solches Training bei vorhandenen Defiziten insbesondere dem älteren Auto Fahrenden selbst zugutekommt, der bei einem Unfall schließlich selbst das höchste Verletzungsrisiko trägt. Das sollte Anreiz für Senioren/innen genug sein, um an einem solchen Verfahren teilzunehmen, wenn dessen Nutzen allgemein anerkannt ist. Darüber hinaus könnte ein Sicherheitszertifikat den erfolgreichen Abschluss eines solchen Verfahrens bescheinigen und z.B. auch den Angehörigen, Behörden, Autoversicherern und anderen Sicherheit geben.

Ältere Auto-Fahrende stellen also keine besondere Gefahr oder Risikogruppe dar, auch wenn dies in der öffentlichen Wahrnehmung oft anders dargestellt wird. Senioren/ innen richten im Allgemeinen ihre Fahrweise verantwortungsbewusst nach ihren Fähigkeiten ein, sodass sie jährlich weniger Unfälle verursachen als Personen anderer Altersgruppen. Dennoch ist es notwendig, weiter nach Wegen zu suchen, die das Unfallrisiko insgesamt und damit auch für Senioren/innen weiter verringern.

aktualisiert 28.06.2016, 18:25 Uhr