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05.06.2020, 21:49 Uhr |
Die Lage des freiwilligen Engaments in der ersten Phase der Corona-Krise
Befragung von Führungskräften in Infrastruktureinrichtungen und Verbänden


 

Die Lage des freiwilligen Engaments in der ersten Phase der Corona-Krise

Nachbarschaftliche Einkaufshilfen, kiezgebundene Sachspendenaktionen, Pizzabacken in Vereinsheimen mit Auslieferung durch die Vereinsjugend, Onlinekurse zum Fitbleiben in der Krise – die Liste kreativer Beispiele, die vielerorts praktiziert werden, lässt sich beliebig fortsetzen. Dazu kommt, dass freiwillige Feuerwehren, Selbsthilfe-, Migrantenorganisationen und andere gemeinnützige Akteure ihre für unterschiedliche Zielgruppen lebenswichtigen Leistungen auch in der Coronakrise weiter erbringen. Diesem systemrelevanten Beitrag für eine erfolgreiche Bewältigung der Krise stehen teils starke Gefährdungen und Herausforderungen gegenüber. Dazu zählen mitunter existenzgefährdende Einnahmeausfälle und die Notwendigkeit, Formen der Zusammenarbeit aus dem Stand heraus zu digitalisieren.

 Im Auftrag der Bundesländer Bayern, Berlin, Rheinland-Pfalz und der Ehrenamtsstiftung Mecklenburg-Vorpommern hat ZiviZ - ZIVILGESELLSCHAFT IN ZAHLEN - im Stifterverband eine qualitative Befragung von Führungskräften in Infrastruktureinrichtungen und Verbänden vorgenommen. Damit sollten belastbare Informationen für anstehende Maßnahmen und Entscheidungen der Engagementpolitik der Länder erhoben und Impulse für die Engagementförderung privater Akteure wie Stiftungen und Unternehmen gegeben werden.

 Die Studie enthält folgende Empfehlungen:

 Schutzschirm für existenzbedrohte Organisationen
Um existenzbedrohende Finanzierungsnotlagen gemeinnütziger Organisationen abzuwenden, sollte für betroffene Vereine und andere gemeinnützige Akteure Zugang zu finanzieller Soforthilfe ermöglicht werden. Stark betroffen sind nach Erkenntnissen dieser Studie Jugend- und Bildungswerke, Kultureinrichtungen, Selbsthilfeorganisationen, einzelne Umweltschutzorganisationen und weitere. Mehrere Bundesländer haben entsprechende Maßnahmen bereits in die Wege geleitet. Eine abschließende Liste von Organisationen, die von der Krise stark betroffen sind, kann auf vorliegender Datengrundlage nicht erstellt werden. Es zeichnet sich jedoch ab, dass vor allem solche Organisationen vom aktuellen Lockdown betroffen sind, die über einen stark ausgeprägten Geschäftsbetrieb verfügen, während mitgliedschaftsbasierte Organisationen bislang überwiegend gut durch die erste Phase der Krise gekommen sind. Bei der Abwendung solch existenzbedrohender Finanzierungsnotlagen sind aktuell Bund und Länder gefordert. Zu prüfen ist unter anderem, welche Zielgruppen mit den bereits bestehenden Instrumenten nicht erreicht werden.

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Finanzielle Langzeitfolgen abwenden
Verlust von Mitgliedern und Spenden sowie Sponsoringpartnern sind zwei drohende Szenarien, die gemeinnützige Organisationen mit starkem Zeitversatz in eine finanziell bedrohliche Lage bringen können. Für beide Entwicklungen kann eine angespannte ökonomische Lage von Unternehmen beziehungsweise Privathaushalten Grundlage sein, die aus der Corona-Krise resultieren. Sollten solche Entwicklungen eintreten, zeigt sich das bei der finanziellen Verfassung gemeinnütziger Organisationen möglicherweise erst zum Jahreswechsel. Finanzielle Krisenhilfe sollte daher nicht nur auf die Hochphase der Corona-Krise beschränkt bleiben. Um solche finanziellen Langzeitfolgen abzuwenden, ist ein koordiniertes Vorgehen von Bund und Ländern erforderlich.

 Mit aktiver Informationspolitik gegen Unsicherheit
Die Einschränkungen der Grundrechte trifft gemeinnützige Organisationen in ihrem Lebensnerv und verunsichert Engagierte und Beschäftige im gemeinnützigen Sektor gleichermaßen. Eine intensive Kommunikation zwischen Politik – auf der lokalen, der Landes- und der Bundesebene – und Zivilgesellschaft ist Voraussetzung dafür, dass gemeinnützige Akteure mit Mut und Vertrauen in die Zukunft einen Weg durch die Krise finden. Das gilt in besonderem Maß für sich teils täglich ändernde Informationsbedarfe, wie gesundheitspräventive Maßnahmen im Engagement umzusetzen sind. Teils erstreckt sich der Informationsbedarf auch auf das operative Betätigungsprofil, zum Beispiel im Fall von Migrantenorganisationen, die als kommunikatives Scharnier zwischen Politik und Behörden einerseits und ihren Mitgliedern andererseits fungieren. Hier sollten insbesondere die Länder mit FAQs, Checklisten, Krisennewslettern oder anderen Instrumenten stets für klare Orientierung sorgen.

 Anerkennung für systemrelevantes Engagement
Während in einzelnen Engagementbereichen die Möglichkeiten zum Engagement und das Vereinsleben völlig zum Erliegen gekommen sind, erbringen andere Bereiche wichtige Beiträge zur Krisenbewältigung. Das gilt für freiwillige Feuerwehren, Engagierte im Technischen Hilfswerk, die organisierte Selbsthilfe und andere Bereiche des gesundheitsbezogenen Engagements, Migrantenorganisationen und weitere. Dieses systemrelevante Engagement sollte als solches anerkannt und öffentlich wertgeschätzt werden.

 Möglichkeiten zur Rücklagenbildung im Gemeinnützigkeitsrecht verbessern
Das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung im Gemeinnützigkeitsrecht verhindert den Aufbau adäquater Rücklagen. In der Krise zeigt sich, dass diese rechtliche Anforderung mit betriebswirtschaftlichen Realitäten in Krisenzeiten konfligiert. Das Gemeinnützigkeitsrecht sollte vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrungen und mit Blick auf diese Problematik weiterentwickelt werden.

 

Orientierung für sichere digitale Lösungen geben
Die erzwungene Umstellung auf digitale Formen der Zusammenarbeit erzeugt bei vielen Vereinen und anderen gemeinnützigen Akteuren ein Gefühl der Überforderung. Als besonders herausfordernd wird die Sicherstellung von Datenschutz und Datensicherheit wahrgenommen. Zahlreiche Anwendungen, auf die mangels Alternative oder Überblickswissen zurückgegriffen wird, etwa für Videokonferenzen oder cloudbasiertes Arbeiten, werden als unsicher wahrgenommen. Überblickswissen über Anbieter und Anwendungen, die mit Blick auf Kosten, Datensicherheit und Funktionalität die Anforderungen auch von kleinen gemeinnützigen Organisationen erfüllen, besteht nach Selbsteinschätzung selten. Eine Whitelist datensicherer und datenschutzrechtlich unproblematischer Anbieter und Anwendungen würde für viele Vereine eine massive Erleichterung darstellen. Über Leitstellen, Ehrenamtsstiftungen, Portale oder verwandte Einrichtungen der Engagementpolitik der Länder könnten solche Informationen in leicht zugänglicher Form zur Verfügung gestellt werden. Sollte es gelingen, noch dieses Jahr die vom Deutschen Bundestag im Januar beschlossene Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt zu gründen, könnten diese Informationen an einer zentralen Stelle im Internet zugänglich gemacht werden. Moderiertes Peer-Learning im bürgerschaftlichen Engagement über selbstorganisierte Plattformen ist ein weiterer wichtiger Weg für Kompetenzaufbau.

 Kapazitäten für Einzelfallberatung für digitale Organisationsentwicklung
Um die vielerorts angestoßene digitale Organisationsentwicklung im gemeinnützigen Sektor zu unterstützen, braucht es in absehbarer Zeit erhebliche Kapazitäten an Einzelfallberatung. Die Fragen und Problemlagen vor Ort sind vielfältig: Wie können digitale Kompetenzen aufgebaut werden? Welche Anwendungen sind die richtigen? Wie verändert digitales Arbeiten die Organisationskultur? Welche Außenprozesse (Mobilisierung, Fundraising, Kommunikation ...) können wie digital ausgestaltet werden? Um diesen in Kürze rasant gestiegenen Beratungsbedarf zu befriedigen, bräuchte es idealerweise vor Ort geeignete Kompetenzstrukturen. Ideal wäre es daher, wenn Bund und Länder mit einem breit angelegten Modellprogramm den Aufbau von Beratungskapazitäten zum Beispiel in Freiwilligenagenturen und Mehrgenerationenhäusern, Seniorenbüros, Ehrenamtsstiftungen und Selbsthilfekontaktstellen, aber auch in Verbänden fördern und mit dem Aufbau von Beratungskapazitäten in der in Gründung befindlichen Bundesstiftung für Engagement und Ehrenamt vernetzen.

 Zivilgesellschaft als Partner von Politik in die Krisenbewältigung einbinden
Freiwilliges Engagement fungiert als Problembewältiger vor Ort, fängt Notlagen durch helfendes Engagement auf und stellt ganz lebenspraktisch gesellschaftlichen Zusammenhalt im Alltag sicher. Wichtige Beiträge leisten spontan Engagierte genauso wie Migrantenorganisationen, Selbsthilfe, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz, kirchliches Engagement und andere. Gleichzeitig findet Krisenbewältigung aktuell nur als wissenschaftsnaher staatlicher Alleingang statt. Die Politik hat die Zivilgesellschaft nicht als Partner, hat Verbände, Stiftungen und andere nicht als wichtige Brücken in die Gesellschaft erkannt. Die Verkürzung von Zivilgesellschaft als ein weiteres Opfer der Krise wird von vielen Führungs- und Leitungskräften genauso wie von Engagierten im gemeinnützigen Sektor als nicht zufriedenstellend wahrgenommen. Bund und Länder sollten daher prüfen, wie über Dialogstrukturen, runde Tische, digitale Foren bis hin zu einem Zivilgesellschaftsgipfel im Bundeskanzleramt Zivilgesellschaft als mitgestaltender Akteur in die Krisenbewältigung eingebunden werden kann. Eine solche Einbeziehung gewinnt im Verlauf der Corona-Krise zusätzlich an Bedeutung, da die anfangs vorhandene selbstverständliche Akzeptanz der weitreichenden Grundrechtseinschränkungen zunehmend schwindet. Politik steht damit vor der Herausforderung, legitimationswirksame Mechanismen der Willensbildung für den weiteren Weg durch die Krise zu finden. Eine stärkere zivilgesellschaftliche Beteiligung könnte ein wichtiger Baustein sein.



aktualisiert von Jens Friedrich, 05.06.2020, 21:53 Uhr


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